Yoga – Die Kraft des Lebens (OT: Debout), Frankreich 2019

Im Gemenge des Überangebots medialer Zerstreuung dringen in der Neuzeit nur jene Werke zu uns durch, welche sich von der Unterhaltung lossagen und uns zu berühren imstande sind. Ist eine echte Botschaft vorhanden, zumal eine mit Potential zur Transformation eigener Überzeugungen, dann treten die filmtechnischen Finessen in den Hintergrund und unser Sichtfeld wird bestimmt von der Geschichte und ihren Implikationen.

Der behandelte Dokumentarfilm „Debout“, deutscher Verleihtitel „Yoga – Die Kraft des Lebens“ ist untrennbar verwoben mit seinem Macher Stéphane Haskell. Zu Beginn portraitiert der Fotojournalist und gelernte Filmemacher seine Situation, wie sie noch vor ein paar Jahren ausgesehen hatte. Krank, gar im Rollstuhl und mit übler ärztlicher Prognose fand sich Haskell auf tiefstem Plateau der Hoffnung. Und dann passierte für ihn Yoga. Haskell sollte durch das Yoga Heilung erfahren. Im Zuge seiner mehrjährigen Rehabilitation, welche mitunter auch in Deutschland in Zusammenarbeit mit der traumatherapeutischen Yogalehrerin Thérèse Poulsen passierte, reifte im Dokumentarfilmer der Entschluss „Ich werde diesen Film über Yoga machen“. So liebe Leute, so entsteht eine starke Botschaft, das ist ohne Zweifel die entscheidende Zutat eines großen Werks.

Vor dem Hintergrund des eigenen Yoga

Sadhguru, eines meiner spirituellen Vorbilder, sagte einmal, dass Yoga selbst dann mit einem etwas tiefgreifend innerlich anstellt, wenn man nur die Asanas praktiziert. Ihm zufolge habe Yoga diese Kraft. Seit dieser Aussage komme ich als Yogi nicht umhin, diesen Gedanken mit dem abzugleichen, was ich draußen in verschiedensten Yoga-Schulen und auf Veranstaltungen erlebe: Yoga vorwiegend sportlicher Prägung, die Absence von offenen Herzen, das Fehlen von Lächeln und die ergebnislose Suche nach dem, was Yoga im Ursprung ist.

Yoga ist älter als die gegenwärtigen großen Kulturen mitsamt ihrer Ideologien auf diesem Planeten. Möglicherweise ist Yoga gar älter als die landwirtschaftliche Revolution, welche vor 12000 Jahren ihren Anfang hatte. Ohne Zweifel dient Yoga in seiner Reife als bewährtes Instrumentarium zur Erlangung spiritueller Reife. Mit gutem Vorwissen praktiziert der Yogi die Meditation, das Ich tritt in den Hintergrund, der Yogi wird der Welt gewahr. Die Asanas helfen, die Knochen nicht morsch werden zu lassen und längeres Meditieren schmerzfrei zu ermöglichen.

Yoga als Weg raus aus dem Rollstuhl

Dieser eine Pfad des Yoga mit seinen körperlichen Praktiken war imstande, den Dokumentarfilmer Haskell vom Rollstuhl zu befreien und mit seinen chronischen Schmerzen zu versöhnen. Die Fragestellung, inwiefern der zum Yogi gewordene Haskell die ursprüngliche und immerwährende Bedeutung von Yoga verstanden hat, darauf hat der gegebene Streifen die Antworten. Das Werk an sich ist die Antwort.

Leidenschaftlich will ich meinem Vorsatz treu bleiben, die kraftvolle Wirkung der Handlung auch bei Dir nicht durch meine Vorwegnahme zu schmälern. Es soll also beim kurzen Überblick bleiben. Irgendwie entspricht das sogar dem Muster des Films und seines Urhebers. Irgendwo in diesen wunderbaren 85 Minuten erwähnt Haskell jenen Satz, welcher für ihn zur guten Doktrin erwachsen ist. Nicht missionieren, sondern mit positiver Entwicklung zur Nachahmung anregen. Und genau so nehme ich „Yoga – Die Kraft des Lebens“ wahr: Keine Erläuterungen zu yogischen Übungsreihen, keine historischen Details und kein Vergleich zu anderen Praktiken.

Wir sehen einfache Aufnahmen aus jenen Tagen, welche noch vor diesem großen Vorsatz gemacht worden sind. Doch die frühen Amateurkamera-Aufnahmen tun der Güte nichts, im Gegenteil. Mit großem Budget geht es dann nach Kalifornien, ins Gefängnis von Saint Quentin. Der im Off bleibende Haskell zeigt eine dem „Prison Yoga Project“ zugehörige Yogalehrerin, wie sie mit wenigen mutigen und hochmotivierten Strafgefangenen Yoga praktiziert. Meine Güte, welch eindrucksvolle Bilder!

An anderer Stelle sehen wir Yoga in der Savanne von Nairobi, lebensfroh, mitunter sehr teilnehmerstark. Andernorts in Afrika gewährt Haskell uns einen Einblick in ein Frauengefängnis. Fast ausnahmslos sind die Insassinnen HIV-positiv und doch ist auch da dieses Lächeln, dieses Lebensglück in den Gesichtern. Dergestalt, wie es auch an den anderen Stationen dieses filmischen Kleinods beobachtet werden kann.

Dann ist da diese alte Dame. Eine muslimische Palästinenserin, welche die stundenlange Anreise einschließlich der Tortur zweier israelischer Checkpoints auf sich nimmt, um dem Ruf ihres Lebens zu folgen, dem Yoga. Nur soviel sei verraten, auch ihr Gesicht zeugt vom Ankommen, vom Verstehen, vom Glück, von der höchsten Verbundenheit. Yoga.

Zum Ende der wortlose Blick auf Zeitgenössisches

Nur ganz kurz, wenige Sekunden vielleicht, zeigt Stéphane Haskell mit seiner Kamera Bilder aus einem üblichen westlichen Yogastudio. Bildeindruck in meiner Wahrnehmung etwa so, dass finanziell gutgestellte weibliche Kundschaft in teurer Sportbekleidung sportlich geprägte Asanas praktiziert. Haskell vermittelt kurz und ohne Härte, dass er herüber nicht urteilen möchte.

Dass Yoga soviel mehr ist, davon zeugt dieser wertvolle Dokumentarfilm.

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